Verkostung
Die besten deutschen Rieslinge des Jahrgangs 2020

Nach monatelanger Beschäftigung mit dem neuesten Jahrgang ist die Verkostung der besten trockenen Rieslinge des Jahres ein Höhepunkt in der Arbeit als Weinkritiker: Hier lässt sich ausloten, zu was der Jahrgang in der Spitze fähig ist. Wir haben für Sie fleißig probiert und die besten Rieslinge für Ihre Getränkekarte herausgefiltert.

Auch 2020 war wieder ein „früher“ Jahrgang, Austrieb und Blüte der Reben lagen deutlich vor dem langjährigen Mittel. In Franken und teilweise auch in Württemberg führte Spätfrost im Mai zu erheblichen Ernteeinbußen, andere Regionen hatten im Verlauf des warmen Sommers und Spätsommers zunehmend mit der Trockenheit zu kämpfen. Eine Herausforderung für viele Winzer war dann bei der Ernte, die teilweise schon Ende August begann, das kleine Reifefenster in diesem Jahr: Verschiedene Sorten waren zum annähernd gleichen Zeitpunkt reif, der zeitliche Abstand zwischen früh- und spätreifenden Sorten war besonders klein, was für Zeitdruck bei der Lese sorgte. In den wärmeren Regionen wie Südbaden war die Ernte schon Mitte September beendet, während in den kühleren Anbaugebieten wie Nahe und Mosel bis weit in den Oktober hinein gelesen wurde.

Nach einer strengen Vorauswahl – unter anderem bei der auch unter Corona-Bedingungen perfekt organisierten Vorpremiere der Großen Gewächse des VDP Ende August in Wiesbaden – schafften es 26 trockene Rieslinge aus dem Jahrgang 2020 in die Schlußverkostung zum Weinführer „Eichelmann – Deutschlands Weine“ beim Heidelberger Mondo-Verlag. Weine aus sechs Anbaugebieten standen verdeckt zur Blindverkostung bereit und wie schon in den letzten beiden Jahren stammten die meisten Finalteilnemer aus Rheinhessen: Zwölf Weinen aus Deutschlands größtem Anbaugebiet standen fünf Rieslinge von der Nahe gegenüber, jeweils drei Weine kamen aus dem Rheingau und Franken, die Pfalz stellte in diesem Jahr nur zwei Finalisten und Württemberg einen.
Am Ende der Verkostung war klar: Die Spitze ist ähnlich stark wie im hervorragenden Vorgängerjahrgang 2019, wenn auch nicht ganz so breit. Der überragende Erfolg, den die rheinhessischen Rieslinge schon in den letzten beiden Jahren feiern konnten, wiederholte sich auch in diesem Jahr im Urteil der professionellen Verkoster: Auf den ersten sechs Plätzen standen wegen Punktgleichheiten insgesamt zwölf Weine, darunter acht aus Rheinhessen, ergänzt um je einen Riesling aus Württemberg, von der Nahe, aus dem Rheingau und der Pfalz. Diese zwölf Rieslinge erreichten alle Durchschnittsbewertungen der Jury von 94 und mehr Punkten.

Auf dem Siegertreppchen gab es keine Überraschungen: Klaus Peter Kellers Abts E belegte knapp vor seinem G-Max den ersten Platz, beides enorm konzentrierte, faszinierende Rieslinge, die noch ein langes Leben vor sich haben, dahinter folgte mit dem Brunnenhäuschen von Philipp Wittmann ein mineralisch-druckvoller Wein, der ebenfalls ein hohes Reifepotential besitzt. Auf dem vierten Platz standen drei Weine, der schon sehr präsente, sehr salzige Pulvermächer, mit dem Markus Heid aus Fellbach Württemberg auf die Karte der großen Rieslinge setzte, gemeinsam mit dem nachhaltigen Steinacker der jungen Brüder Tobias und Björn Knewitz aus dem nördlichen Rheinhessen und dem von wurzelechten Reben stammenden Rothenberg von Carolin Spanier-Gillot, Weingut Kühling-Gillot. Deren komplexer, konzentrierter Pettenthal, der stilistisch den Keller-Rieslingen ähnelt, folgte auf dem fünften Rang, gemeinsam mit dem herben, kräuterwürzigen Dellchen von Cornelius Dönnhoff, das in diesem Jahr etwas stärker war als seine Hermannshöhle. Auf Platz sechs folgten dann gleich vier Weine, darunter mit dem Morstein der zweite Wein von Wittmann, die Runkel-Brüder vom Weingut Bischel glänzten mit ihrem Hundertgulden, Philipp Kuhn stellte mit dem Saumagen den stärksten Wein aus der Pfalz, während Wilhelm Weils Gräfenberg der fruchtbetonteste unter den Top-Rieslingen war. Auf den weiteren Plätzen folgten mit dem Teufelspfad des Weinguts Braunewell und dem Morstein des Weinguts Karl May weitere starke Rheinhessen.

Die Top Ten der internen GHI-Verkostung liest sich ähnlich wie das Urteil der Jury, unterscheidet sich aber doch in manchen Details: Wittmanns Brunnenhäuschen war noch nie so stark wie in 2020, knapp dahinter folgt mit dem Pulvermächer des Weinguts Heid der günstigste Wein der Verkostung. Carolin Spanier-Gillots Rieslinge aus Pettenthal und Rothenberg präsentierten sich mit sehr eigenständigem, feinem Bouquet und auch Christian und Matthias Runkel vom Weingut Bischel sind mit zwei Weinen aus ihren Toplagen Scharlachberg und Hundertgulden unter den ersten zehn vertreten. Wilhelm Weils Gräfenberg hat selten so gestrahlt wie in 2020, Sophie und Steffen Christmanns wieder einmal sehr puristischer, noch reduktiver, enorm würziger Idig ist der einzige Wein in den GHI-Top Ten, der in der Spitze der Jury nicht vertreten war, Einigkeit herrschte dagegen bei der Klasse von Dönnhoffs Dellchen und Kellers G-Max

Jens Wagner

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